Zum Inhalt springen

Wie ich einmal ein Rezept ohne Bild nachkochte

8. Mai 2012

Also beschloss ich, M.s Anregung zu folgen und das Rezept „Feine Weißkohlpäckchen“ von Yotam Ottolenghi nachzukochen. Ottolenghi füllt Weißkohlblätter mit einer Mischung aus angebratenen Nudeln, Reis, Ricotta und Pinienkernen und bäckt sie dann im Ofen. Kurze Stundenwiederholung: Es handelt sich hier um ein Rezept ohne Bild. Was in einem Kochbuch üblicherweise ein Garant dafür ist, dass ich nicht einmal die Überschrift lese. Aber nachdem M. ja nachdrücklich von diesem Gericht geschwärmt hatte, dachte ich mir: Blindflug mit Instrumenten, yeehaw!

Die erste Anweisung lautete, kleine Suppennudeln in Butter anzubraten.

Hm.

Wie jetzt.

Roh?

Sehen Sie, im theoretisch Kochen bin ich schon längst aus dem Nichtschwimmerbereich raus. Ich bilde mir ein, alle Zubereitungsarten zu kennen, die es so gibt. Vielleicht bis auf ein paar Molekulartechniken, aber die erkenne ich immerhin, wenn ich sie sehe. Wenn mir aber jemand aufträgt, rohe Nudeln anzubraten, gerate ich in Panikstarre. Ja, geht das denn? Hat er vielleicht nur vergessen dazuzuschreiben, dass man sie vorher kochen muss? Ist das ein Fehler im Rezept, den ausgerechnet ich, Koch-Bambi, als erste weltweit entdecke?

Glauben Sie mir, dieser Gedanke war mir nicht so fern – was vermutlich mehr über mich aussagt, als mir lieb ist.

In Fällen von Ja-Nein-Entscheidungen, oder Links-Rechts, oder Schwarz-Weiß, oder Gekocht-Roh, oder „Das linke Klo oder das rechte?“ setzt in meinem Gehirn immer ein ebenso blitzartiger wie elaborierter Entscheidungsprozess ein. Ich debattiere mit mir selbst die Pros und Kontras, die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, möglichen Einwände, Erfahrungswerte und durch Logik fundierten Vermutungen. Bei der Klo-Frage (ist vielleicht eher eine Frauensache) geht mein Gehirn eine extensive Liste von Entscheidungkriterien durch:

– Auf welches gehen normale Frauen? Wahrscheinlich gleich das rechte. Also nehme ich das linke.
– Aber wenn normale Frauen sich auch denken, dass andere normale Frauen eher aufs rechte gehen, würden sie dann nicht eher aufs linke gehen? Nehme ich also doch das rechte.
– Aber wie viele von den anderen Frauen machen sich so viele Gedanken darüber, welches Klo sie nehmen sollen? Die gehen sicher gleich auf das erstbeste, also  das rechte. Ich nehme doch das linke.

Das geht drei gefühlte Hirn-Stunden lang so, bis entweder eine Notfallsentscheidung getroffen werden muss, eines der Klos mittlerweile ohnehin besetzt ist, es kein Klopapier gibt, die Klobrille erst trockengelegt werden muss oder ich entnervt aufgebe und hoffe, als nächstes auf ein Drei-Kabinen-WC zu treffen, wo ich dann immer die hinterste Kabine wähle, weil alle anderen sicher nicht so gaga sind und einfach immer auf das erste freie gehen.

Wenn sie das denn tun.

Ja-Nein-Entscheidungen, zu denen auch Hierlinksoderhierrechts?-Dilemmata gehören, laufen im Prinzip nach dem gleichen Schema ab, wobei ich mich aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungswerte (besonders bei Linksoderrechts) nach dem Schlussgong sicherheitshalber doch für das Gegenteil vom endgültigen Denkergebnis entscheide. Man kann mir vor allem orientierungsmäßig einfach nicht über den Weg trauen. Man kann allerdings von meinem untrüglichen, nachgerade hellseherischen Instinkt für die falsche Richtung profitieren und ergo in die andere gehen.

Ähnlich wäre es also bei der Frage gewesen, ob die Nudeln roh oder gekocht angebraten werden. Hier konkurrierten beispielsweise unter anderem die Argumente

„In einem Kochbuch stehen die Anleitungen doch immer deppengerecht aufbereitet drin! Die sagen dir ja sogar, wo bei einer Tomate oben ist!“

sowie

„Hat der normale Mensch schon jemals etwas von roh angebratenen Nudeln gehört? Der geht davon aus, dass jeder Idiot weiß, dass sie vorher gekocht gehören! Rohe Nudeln? Sonst noch was!“

Anstatt, wie sonst üblich, mich am Ende dieser Debatte (wer braucht schon Diskussionspartner?!) zielsicher für das Falsche zu entscheiden, zog ich sicherheitshalber das angetraute Kochlexikon zu Rate.

„Doch, ich glaube schon, dass man rohe Nudeln anbraten kann.“
„Und was soll das bringen?“
„Keine Ahnung, die werden dann wahrscheinlich … knuspriger?“

Ich vertraue dem Gatten, was Kochen anbelangt, bekanntlich blind. Es war also reiner Zufall, dass ich kurz danach M. anrief und beiläufig auf das Nudelthema zu sprechen kam.

„Ja, doch, die werden roh angebraten! Ich hab mich auch zuerst gewundert, aber das funktioniert!“
„Und die brechen dabei nicht ab?“
„Nicht, wenn man’s vorsichtig macht.“

Nachdem ich also nach läppischen 2,5 Stunden alle theoretischen Fragen geklärt hatte, begann ich bereits mit einem geradezu vorbildlichen Mise-en-place.

Wenigstens das habe ich mittlerweile gelernt. Oder sagen wir, so gut wie. Beim nächsten Mal reibe ich den Parmesan gleich, und röste die Pinienkerne auch noch an, bevor ich mich ans tatsächliche Kochen mache. Dieses Streber-Setting hat nämlich nicht verhindert, dass mir, während ich die Kohlblätter einzeln und sanftfingrig abgenibbelt habe, die Pinienkerne dann doch ein bisschen dunkel geraten sind.

Nicht so schlimm, ich hatte eh 20 Gramm zu wenig. (So genau scheißt keine Pinie.)

Ich hatte zuvor bereits brav meinen Gemüsefond angesetzt (ohne Anbrennen!)

und ihn ausgiebig abtropfen lassen.

(Hatte ich schon erwähnt, dass ich in meiner Kindheit zu viel MacGyver gesehen habe?)

Kohlblätter abnibbeln und blanchieren.

Testen, ob der Kochwein korkig ist.

Und los geht’s: So sehen übrigens angebratene, rohe Suppennudeln aus (braun), kurz nachdem sie mit dem Reis (weiß) vermischt wurden.

Und das ist die Masse mit Ricotta und Pinienkernen.

Das soll jetzt nicht falsch verstanden werden, aber ich weiß jetzt, an welchem Punkt Ottolenghi auf die Idee gekommen ist, das Zeug in Kohlblätter zu wickeln.



Was übrigens sogar Feinmotorikern wie mir überraschend gut gelingt. Sieht das nicht vorbildlich aus?

Dann wird alles mit Wein (sofern noch was übrig ist) und Gemüsefond übergossen und in den Ofen geschoben.

Das Schwarze soll übrigens so (oder wenigstens so ungefähr – die Kamera ist schuld), das ist der Parmesan, mit dem die Päckchen kurz vor Schluss gratiniert werden. Ich habe mich jedenfalls genau an Ottolenghis Zeitvorgaben gehalten.

Dann kam der Moment der Wahrheit: Die Weißkohlpäckchen waren … okeh. Ich weiß nicht, ob die fehlenden 20 Gramm Pinienkerne den entscheidenden Kick gegeben hätten oder ich einfach generell großzügiger mit Salz und Pfeffer hätte sein dürfen. Auf jeden Fall waren sie irgendwie ein bisschen blah. Der Gatte bekrittelte den eher bröseligen Zustand des Ricotta, der tatsächlich nichts fürs Auge war. (Wir essen hier nämlich auch mit den Augen, damit der Mund frei bleibt fürs Reden.) Und die von Ottolenghi versprochene „angenehm leichte und zarte Konsistenz“, die die Kombination von Reis und Nudeln ergeben hätte sollen, wäre mir so jetzt auch nicht aufgefallen.

Die Weißkohlpäckchen haben mein Verhältnis zu Yotam Ottolenghis Kochbuch leider nicht entscheidend verbessert. Ich weiß, viele schwärmen von ihm, und es begann mit dem Zitronen-Auberginen-Risotto auch ganz vielversprechend, aber an den zweiten Versuch kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern, außer dass wir das nicht noch einmal essen wollten. Nichtsdestotrotz stehen noch seine Safrantagliatelle mit Gewürzbutter auf der Liste (die Nudelmaschine braucht ein bisschen Auslauf), und ich bin auch durchaus für weitere Empfehlungen offen.

Kann ja mittlerweile sogar ein Rezept ohne Bild sein.

3 Kommentare leave one →
  1. 9. Mai 2012 20:17

    Ach war das wieder schön zu lesen!
    BTW hat die Mehrzahl der von mir nachgekochten Gerichte aus dem Ottolenghibuch kein Bild, als da wären die Pilzlasagne (göttlich, aber seitdem schleppe ich noch 300 g auf den Hüften mit mir rum, die wohl nie mehr verschwinden werden) und das erste war das legendäre Auberginen-Zitronenrisotto, bei dessen Erwähnung der Liebste mir sofort vor die Füße sinkt und mich noch einmal um meine Hand bittet. Wenn er sie hat, drückt er mir allerdings sofort den Löffel zum Risottorühren hinein. Die Auberginen in Buttermilch sind ebenfalls ein Knaller (sogar mit Bild) und auch die Tarte surprise war gut, die könnte ich mal verbloggen bei Gelegenheit…
    Diese Weißkohlrouladen haben mich schon im Buch nicht angemacht, ich finde aber auch den Gedanken, Nudeln mit Reis zu mischen örgs, ob gebraten oder nicht.

    Und OT – das könnte Ihnen gefallen:
    http://www.basicthinking.de/blog/2011/05/19/endlich-alle-macgyver-tricks-in-einer-interaktiven-rezeptesammlung/

  2. Anja V permalink
    4. Juni 2012 09:12

    Zum Thema MacGyver: http://www.amazon.de/Do-It-Yourself-M%C3%B6bel-verr%C3%BCckte/dp/3258600368 „Do It Yourself Möbel: 30 verrückte Projekte“

  3. Sönke permalink
    19. Juli 2012 20:18

    Göttlich, ich habe mich scheckig gelacht! Und ehrlich gesagt will ich die Päckchen sogar mal nachkochen. Vielen Dank für die Superbeschreibung!

Hinterlasse einen Kommentar