Fehler x Fehler = gelungen!

Wir erinnern uns: Da hatten Internist und Zahnarzt ein wenig interveniert. Auch wenn ich mittlerweile der festen Überzeugung bin, dass weißer Nougat überhaupt erst von der internationalen Zahnärztevereinigung erschaffen wurde. Kurz nachdem sie ihre Kundenzahlen mit der Erfindung von Caramels bereits verdoppelt hatten.
Mein neues Koch-Credo lautet übrigens, von allem erst einmal nur die Hälfte zu machen. Wenn das schief geht, hat man noch genug Material für einen zweiten Versuch. Wie recht ich haben sollte …
Problem 1 und 2 traten synchron auf. Problem 1: Welches Rezept soll ich diesmal versuchen? Problem 2: Wieso bekomme ich hier plötzlich nirgends Glukose- bzw. Reissirup? Kurz darauf folgte Problem 3: Welches Rezept habe ich beim letzten Versuch eigentlich wirklich verwendet?
Ich weiß, ich habe Ihnen hier genau aufgelistet, was wann wo. Doch in Wirklichkeit war das schon Jahre her, und außerdem haben Sie ja keine Ahnung, was ich Ihnen hier sonst noch so alles erzähle.
Zur Wahl standen zwei Anleitungen auf delicious:days: eine im Posting selbst, eine weiter unten in den Kommentaren von Gina. Hatte ich das Rezept von Gina tatsächlich bereits ausprobiert oder es nur schon so oft gelesen, dass ich glaube, es ausprobiert zu haben? War Versuch Nummer 3 in Wirklichkeit ein ganz anderes, eines von den sechs Rezepten, die auf meiner Festplatte im Ordner „Nougat“ liegen?
Oliver von d:d verwendet lediglich eine Zucker-Wasser-Mischung, Gina braucht Glukosesirup, den ich hier aber nirgends finden konnte, auch nicht in seiner Ersatzexistenz als Reissirup.
Bevor ich mich also entscheiden konnte, war erst einmal eine Internetrecherche zum Thema „Glukosesirup selbst herstellen“ fällig. Beruhigenderweise gab es da nur zwei Resultate: die einen, die meinen, das wäre mit Wasser, Zucker, Zitronensäure und Natron kein Problem. Und die anderen, die sagen, dass jeder, der keinen Zugang zu einem mittelprofessionell ausgerüsteten Labor hat, sich das gleich aus dem Kopf schlagen kann.
An dieser Stelle hätte jeder zurechnungsfähige Mensch klein beigegeben, den Sirup beim Versandhandel bestellt und für die Abendeinladung einfach einen transportfähigen Klassiker gemacht. Die Sachertorte für Faule, zum Beispiel. (Das neue Angeberrezept für Cheese Cake mit Brillat-Savarin ist leider ein wenig reiseschwach.)
Aber Zurechnungsfähigkeit wurde in dieser Küche schon lange nicht mehr serviert, weshalb die Wahl auf Ginas Anleitung sowie selbstgemachten Glukosesirup fiel. Auf Facebook gab’s dann noch eine kurze Diskussion darüber, ob ich eigentlich gerade dabei war, in Wirklichkeit Läuterzucker herzustellen. Und ob man Glukosesirup nicht eigentlich auch nur aus Wasser und Zucker kochen könnte. Ey Leute, als ob ich zu diesem Zeitpunkt noch Ablenkung vertragen hätte!
Mangels Zitronensäure wurde der Sirup jedenfalls mit Zitronensaft fabriziert, weil: So genau wird schon kein Hendl scheißen. Die fertige Flüssigkeit, von der ich nun nicht sicher sein konnte, ob ich da a) Zuckerwasser, b) Läuterzucker, c) Glukosesirup oder d) eine neue Massenvernichtungswaffe fabriziert hatte, vermischte ich dann mit dem Honig – was der nächste Fehler war. Der Honig hätte nämlich allein bis 122°C gekocht werden sollen. Den Sirup hätte ich in Wirklichkeit zu Zucker und Wasser hinzufügen und das alles bis 140°C kochen sollen.
Hm. Kenn ich mich bei Honig und Zucker und bei welchen Temperaturen die was tun aus?
Das war eine rhetorische Frage.
Normale Menschen hätten einfach das falsche Gemisch weggeschüttet und die Flüssigkeiten richtig aufgeteilt. Ich hingegen habe vor kurzem den Film „Taste the Waste“ gesehen und hole seither des Gatten Kartoffelschalen aus dem Müll, um zu kontrollieren, wieviel er noch drangelassen hat. Wegschütten is nich.
Aber normale Menschen kaufen sich Nougat auch einfach im Supermarkt.
Es wurden also die Zähne zusammengebissen, die Götter angerufen und zur Sicherheit auch noch zwei Esslöffel des mutmaßlichen Glukosesirups in die Zuckermischung gekippt. Wer weiß, vielleicht braucht der Zucker das ja.
Vorab waren bereits 300 Gramm Mandeln gehackt und auf einem Backblech verteilt worden, um geröstet und dann noch möglichst heiß in die fertige Eischnee-Zucker-Honigmasse gekippt zu werden. Immerhin ein Punkt, wo ich super organisiert und gut vorbereitet war.
Wir halten zu diesem Zeitpunkt also bei vier Kriegsschauplätzen: Das vorheizende Backrohr für die Mandeln. Die Küchenmaschine, die bereits dabei war, ein jämmerliches, einsames Eiweißchen zu Schnee zu schlagen (halbe Rezeptmenge!). Ein Topf mit einer falschen Honig-Glukose-Mischung auf Flamme 1, ein weiterer mit einer nicht ganz richtigen Zucker-Wasser-Glukose-Mischung auf Flamme 2.
Immerhin die Vanilleschote lag fehlerfrei ausgekratzt bereit. Jetzt sag noch einmal jemand was!
Der Honig erreichte seine vorgeschriebenen 122° und wurde langsam in das Eiweißchen gegossen. Danach kamen die Mandeln ins Rohr und der Zucker wurde auf 140° gekocht. Was verdammt lange braucht, aber immerhin den Kopf frei genug lässt, um die Mandeln nicht nur einmal zwischendurch umzurühren, sondern den Ofen auch noch zum richtigen Zeitpunkt abzudrehen. Das war mir ohne Timer schon sehr lange nicht mehr gelungen.
Der Zucker kam ebenfalls zum Eiweiß. Von der angekündigten Fluffigkeit war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon gar nichts mehr zu sehen. „Ah, was soll’s“, dachte ich mir, „fressen wir halt alles wieder selbst.“
Die Masse sollte nun 20-30 Minuten lang gerührt werden. Zeit genug, um die Mandeln aus dem Ofen zu holen.
Wir lernen: Es genügt nicht, den Ofen auszuschalten, man sollte vielleicht auch die Tür öffnen. Oder das Blech rausholen. Nur mal so eine Idee.
Aber es gab ja noch die zweite Hälfte der Mandeln. Auch sie wurden gehackt und unter ständigem Fluchen auf dem Backblech verteilt. (Die erste Ladung konnte leider nicht mehr gerettet werden. Wir dürfen auf der Terrasse nicht mit Kohle grillen.)
Die Mandeln kamen in die Eischneemasse, der ganze Brei, der mittlerweile die Konsistenz eines pubertierenden Teenagers hatte, wurde unter Mühen und weiteren Flüchen in eine mit Oblaten ausgelegte Form gequält, das Ganze wurde mit einer Decke des Schweigens in Form einer weiteren Oblate zugedeckt, und ich machte mich an die Vorbereitungen zu caramels au beurre salé, damit wir wenigstens irgendetwas mitbringen konnten.
Doch was soll ich sagen:
Es waren die bisher besten! Unsere Gastgeber und ihre Kinder, darunter eine Teenagerin!, haben ziemlich unpariserisch zugelangt, wenn ich das richtig beobachtet habe. (Man will ja nicht aufdringlich wirken.) Andererseits sind sie alle auch sehr wohlerzogen.
Ich bleibe hiermit also bei Ginas Anleitung. Wenn ich nur beim nächsten Mal all die Fehler wieder richtig hinbekomme …
Och, Frau Neudecker, da bin ich ganz sicher, das mit den Fehlern bekommen Sie hin. Müssen Sie hin bekommen! Was soll mir denn sonst den Nachmittag versüßen, wenn ich schon nicht an Ihr köstliches Nougat komme?