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Wie ich einmal Zwiebeln kaufte

4. Mai 2012

Das Schwierigste am Leben im Ausland ist – Vorsicht, jetzt kommt nichts Überraschendes – die Sprache. Die Franzosen sind ja total nett und alles, die meisten gehen auch aufrecht, und wir haben sogar schon einen kennengelernt, der sich nach der Toilette die Hände wäscht! Aber können die keine gscheite Sprache sprechen? Englisch, zum Beispiel, wie jeder normale Mensch!

Nein, sie haben sich da etwas entwickelt, das eine Ausgeburt an Ineffizienz ist. Wo andere Länder genau einen Buchstaben brauchen, benötigen die Franzosen derer drei. Mindestens.

Wir: O.
Sie: eau.

Wir: etä.
Sie: étaient.

Seit Jahren versuche ich dem Büro des Premierministers erklärlich zu machen, wieviel Geld in diesem Land allein an Druckkosten gespart werden könnte! Aber glauben Sie, die hören auf mich?

Nicht, dass Sie denken, beim Reden würde man die ganzen Buchstaben ja nicht hören, also wäre wenigstens hier nicht auch noch ein Zeitverlust zu beklagen. (Und glauben Sie mir, auch nur eine Silbe pro Satz pro Kopf weniger würde in diesem Land zu einer Lawine an freigesetzter Zeit führen! Es würde geradezu Stille herrschen.) Nein, stattdessen wiederholen sie einfach das Subjekt, indem sie es durch ein Personalpronom ersetzen.

Wir: Der Ball ist über die Mauer geflogen.
Sie: Der Ball, er ist über die Mauer geflogen.

Aber es hilft ja nix. Man bemüht sich also, die Sprache so gut wie möglich zu beherrschen. Nur, um immer wieder einen Dämpfer zu kassieren. Wenn der Kellner im Café nach einer Bestellung, die man in lupenreinem, akzentfreiem, fehlerlosem Französisch abgesetzt hat, sicherheitshalber auf Englisch umschaltet. Oder wenn der Fleischhauer auf die Bitte nach 500 Gramm Rindfleisch drei Mal nachfragt.

Ich: Cinq cents grammes de viande de boeuf, s’il vous plaît!
Er: Combien?
Ich: Cinq. Cents.
Er: Six cents?
Ich: CINQ! CENTS!
Er: Ah! Cinq cents!

Seither kaufe ich immer 600 Gramm und werde meine Gichtanfälle nach ihm benennen.

Nach einiger Zeit kommen aber wieder Momente, wo man mit den Menschen schäkern kann, wo man seine Schlagfertigkeit endlich auch in der fremden Sprache umsetzen kann, wo man sich bei den beiden Aufzugmonteuren, die den Lift extra kurz in Betrieb setzen, damit man die Einkäufe nicht cinq Stockwerke raufschleppen muss, mit einem kleinen Scherzchen bedanken kann. Nur um an der Wohnungstür noch mitzukriegen, wie der eine den anderen fragt: „Was hat sie gesagt?“

Am frustrierendsten sind die Situationen, in denen man eigentlich das Vokabular höflichen Beschimpfens bräuchte. Wenn man von der Servierkraft angeblafft wird, weil man es gewagt hat, sich ein wenig ungehalten über die 30 Minuten Wartezeit auf den reservierten Tisch zu äußern. Oder wenn man einen UPS-Hotline-Mitarbeiter am Telefon hat, dem man zu erklären versucht, dass jenes Paket, das laut UPS-Webseite seit bereits einer Woche angeblich immer „morgen“ geliefert wird/wurde/werden wird, noch immer nicht da ist. Und der einem dann in einer erwürgungswürdigen Art antwortet: „Aber hier auf der Seite steht doch: Es wird Ihnen morgen zugestellt. Ich kann Ihnen das auch gern noch einmal auf Englisch sagen.“

Glauben Sie mir, eine Woche lang täglich zwischen 9 und 17 Uhr jede Blasentätigkeit zu unterbinden, macht ein bisschen unrund.

Wobei das im deutschsprachigen Raum weitestverbreitete Vorurteil den Franzosen gegenüber, sie wären arrogant, wirklich völlig falsch ist. (Mit Ausnahme des UPS-Arschs.) Wir haben hier tatsächlich noch keinen nicht-hilfsbereiten, unfreundlichen, arroganten Menschen getroffen. Sogar die Polizisten sind nett!

Oft sind es nur hauchfeine Missverständnisse. Als ich vor einiger Zeit mein erstes Coq au vin versuchte, war ich wild entschlossen, wirklich alles von vorn bis hinten selbst zu machen. Ich ging also zum neuen Fleischhauer (der besser hört als der alte), erzählte ihm stolz, was ich vor hatte und bat um ein geeignetes Federvieh. Das Huhn ist idealerweise ein alter Hahn, der schon „eine Menge Hühner gesehen hat“, wie der Gatte schreibt. Es wird in sechs Teile zerlegt und dann lange in einem „guten Pinot Noir“ geschmurgelt.

Als der Fleischer fragt, ob er mir das Huhn zerlegen soll, wehre ich mit dem Brustton der Entrüstung ab und sage, dass ich das selbstverständlich selbst erledigen würde.

Was ich dann Zuhause auspacke, ist ein Huhn, wie Gott es schuf. Inklusive Kopf, Füße und Innenleben. Ich gestehe, für den Kopf habe ich den Gatten geholt. Und die Küche verlassen.

Aber man lernt dazu. Vieles ist Trial & Error. Ich kann mittlerweile perfekt aus der Mimik meines Gegenübers darauf schließen, was er mir erzählt, auch wenn ich kein Wort verstehe. In den meisten Fällen kommt man am besten mit Lächeln und Nicken durch. Und interessiert dreinschauen.

Man will ja auch Neuem gegenüber aufgeschlossen bleiben. Wenn mir der Schinkenweltmeister bestimmte oignons, Zwiebeln, als Spezialität des Tages anpreist, denke ich mir zwar insgeheim: „Zwiebeln? Was macht der Schinkenweltmeister mit Zwiebeln?“ Doch ich lächle und nicke.

Was ich dann Zuhause auspacke, sind rognons.

Schweinenieren.

Ja, auch die wurden gekocht. Es war gottlob Sommer und man konnte alle Fenster öffnen. Nicht, dass das sehr viel gebracht hätte.

5 Kommentare leave one →
  1. 4. Mai 2012 13:30

    Und die Zahlen erst! Nicht nur, dass es einfach lange dauert, 94 zu sagen, man muss auch noch rechnen können

  2. Maya permalink
    9. Mai 2012 20:10

    Habe deinen Blog erst kürzlich entdeckt und amüsiere mich köstlich! Mach weiter so und du wirst in höhere Sphären aufsteigen. Ich verleihe dir schon einmal einen halben Stern für so viel Engagement.
    Maya

  3. 29. Mai 2012 17:09

    pourquoi les français parlerons anglais dans leur pays?…………!? Il faut apprendre le français….der einzige Weg, hier zurechtzukommen!

  4. 29. Mai 2012 17:11

    PS: ich hoffe, Sie verstehen 2ème dégrès, was bei den viele Bloggern oft nicht der Fall ist…humour à la français, wer bei le père noël est une ordure ou les bronzès font du ski lacht, der ist Franzose…………Bolliskitchen

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