Wie mir ein Sternekoch ein Holzscheit zwischen die Beine zu werfen versuchte

Und es begab sich, dass ein nicht mehr ganz junges Mädchen eines Tages wieder einmal vor dem Fernseher saß und sich seine Lieblingssendung ansah: „Le meilleur pâtissier“. Daheim, bei ihr zuhause, hätte man die Sendung wahrscheinlich „Deutschland sucht den Super-Konditor“ genannt.
Jedenfalls blickte das etwas überreife Mädchen wochenlang mit nicht enden wollender Faszination auf all die wunderbaren Dinge, die dort vor seinen Augen fabriziert wurden: mit wunderbaren Crèmes gefüllte Windbeutel, elaborierte Torten, deliziöse Eclairs, herrliche Mousse, … Es wurde gerührt, gebacken und karamellisiert, dass es eine Freude war.
In der letzten Sendung mussten die Kandidaten das traditionelle Weihnachtsdessert bûche de noël „neu interpretieren“. Es sollte nach wie vor einem Holzscheit ähneln und vor allem „festlich“ wirken. Üblicherweise macht man dafür eine Art Biskuitroulade, bestreicht sie mit Schokolade und pinnt alle möglichen Dekoelemente dran, die mit „Wald“, „Weihnachten“ oder „Geschmacksbefreitheit“ zu tun haben.
Eine kleine Auswahl aus den Weihnachtskollektionen 2012, gefunden in Madame Figaro.
Nachdem die beiden Juroren an allen bûches der Kandidaten etwas auszusetzen gehabt hatten, machte Cyril Lignac, der bei solchen Sendungen gern mal den Juror gibt und im Nebenberuf auch noch Koch ist, vor, wie er die bûche modernisieren würde.
Sie sah dann so aus:
Sehr feierlich und sehr holzscheitig.
Allerdings bestand sie großteils aus einer Vanillecrème mit weißer Schokolade, auf die das Mädchen, also ich, sogar vor dem Fernseher völlig angefixt wurde.
In der Mitte war ein Karamellkern, den Boden bildete eine Masse aus Spekulatiusbröseln und Nusspraliné. (In Zeiten wie diesen müsste die modernisierte Version vermutlich besser Spekulationsbrösel enthalten, ha ha ha.)
Auf der Webseite des TV-Senders findet sich eine Zutatenliste sowie eine Bild-für-Bild-Anleitung, für die das Wort „lückenhaft“ noch eine Auszeichnung wäre. Aber nachdem ich mir schon lange nicht mehr meine Mantra-Liste angesehen und ergo das Rezept nicht komplett in Gedanken durchgeprobt hatte, bemerkte ich das erst, als die Entscheidung bereits gefallen war. Und wer wäre ich, würde ich nicht die Ärmel aufkrempeln, diesen entschlossenen Zug um den Mund bekommen und mit Bestemm sagen: „Ich habe keine Ahnung, wie das gehen soll. Aber so wahr mir Gott helfe! Ich werde meine erste bûche de noël machen!“
Was vielleicht keine so wahnsinnig intelligente Idee ist bei jemandem, der vor Jahren aus der Kirche ausgetreten ist.
Stammgäste hier werden nun die Hände vors Gesicht schlagen und sich denken: „Diese Frau verhaut doch sogar Gerichte mit minutiös genauen Handlungsanweisungen! Was soll das nur geben!“ Und ja, auch ich kam mir kurz vor wie jemand, der seinen ersten Tandem-Fallschirmsprung wagt und dabei auf den Tandemmann verzichtet. Aber jedes Mal, wenn ich an diese Vanillecrème dachte, war das mit dem vernunftbegabten Denkvermögen dahin.
Da das Rezept teilweise schlicht unverständlich war – und zwar erfreulicherweise sogar für Muttersprachler – rüstete ich einfach ab. Für die Krümelmasse schrieb Lignac nicht nur die Spekulationsbrösel vor, sondern auch eine selbst zu backende Mandelkeksmasse, für die es wiederum ein Rezept-im-Rezept gab. Da er diese Kekse aber bei jedem Schritt anders nannte, wusste man nicht wirklich, was jetzt wo hin sollte. Weg damit, mir ging’s ohnehin nur um die Vanillecrème.
Ebenso war ich nicht gewillt, mir eine Farbsprühpistole zu kaufen, um das Ding zum Schluss mit grauer Lebensmittelfarbe zu airbrushen. Das allerdings machte mir dann doch kurz Bedenken, weil ich sonst keine Ausrede ungenutzt lasse, um zum Baumarkt zu dürfen.
Manche Facebook-Freunde, die offensichtlich um meine geistige Gesundheit fürchteten, versuchten noch, nachdem sie sich das Rezept angesehen hatten, mich von meiner Idee abzubringen. Doch wenn ich mir erst einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, hält mich nur noch eine neue Folge Modern Family davon ab. Und die waren gerade in der Weihnachtspause.
Das Rezept war in erster Linie zeitaufwändig, in zweiter Linie ein Blindflug mit unbekanntem Ziel, in dritter Linie aber für jemanden, der schon hin und wieder mit Karamell gearbeitet hat, durchaus stemmbar. Für die Vanillecrème wird Sahne mit Vanille aufgekocht, mit weißer Schokolade vermischt und dann entweder vier oder zwölf Stunden im Kühlschrank gelagert – es gibt zwei Versionen des Rezepts (hier ist die zweite, wer sich’s antun will). Man durfte sich würfeln, welche eher stimmt.
Nach diesen vier (oder auch zwölf) Stunden musste man die Crème entweder glattrühren oder aufschlagen, auch hier durfte wieder die Münze entscheiden. Doch siehe da, sie ließ sich tatsächlich einigermaßen steif schlagen! Wobei man französische Sahne, die nur 30 Prozent Fett enthält, ohnehin maximal sockensteif bekommt. (Und weil’s jetzt auch schon wurscht ist: Ich vertippe mich hier gerade andauernd zu „schlafen“ statt „schlagen“. Go figure.)
Auch beim Karamellkern durfte man wieder zwischen den Zeilen lesen. Das Karamell sollte laut Rezept nicht wie üblich mit Sahne, sondern mit Wasser abgelöscht werden. Was ich persönlich noch nie gehört habe. Und bekanntlich weiß ich ALLES über Karamellmachen. Meine Verwunderung wurde durch die Formulierung des darauffolgenden Schritts bestätigt, in dem es heißt: „Fügen Sie nun die restliche Sahne hinzu.“ Quoi? Und zuguterletzt: Wieso gibt er in der Zutatenliste die Sahne in getrennten Mengen an, wenn sie dann gesammelt ins Karamell soll? Ebend.
Am Schluss soll man die bûche in den Tiefkühler stellen, aber weder steht dabei, wozu, noch, wie lange. Auch hier wieder Würfel.
Und da Hochmut vor dem Anfall kommt, habe ich mir also erlaubt, das Rezept des Herrn Sternekochs ein wenig zu korrigieren.
Die Haltungsnoten sind nicht ganz so berauschend ausgefallen, dafür war das Ergebnis mehr als nur essbar.
Ich würde beim nächsten Mal das Krümelzeugs vermutlich entweder auf die Oberseite transferieren oder in der Mitte eine Grenze zwischen Vanillecrème und Karamellkern damit ziehen und hoffen, dass es nicht komplett durchsuppt und man auf diese Weise doch noch ein wenig Crunch hat. (Dass man bei einem Dessert auch auf unterschiedliche Texturen achten soll, habe ich bei „meilleur pâtissier“ gelernt. Und da sage noch einer, Fernsehen macht blöd.)
Und im Sommer würde ich den Karamellkern durch eine Marillen(Aprikosen)-Crème ersetzen, zu Ehren der wunderbaren Tichy-Eismarillenknödel, an die mich dieses Dessert allein durch die Farbkombination weiß-orange erinnert hat.
Die beste Nachricht von allen ist jedoch: Sogar nach diesem Hindernislauf steht die Küche noch. Mir nahestehende Personen sind unbeschadet geblieben. Und ich erkenne die ersten leichten Anzeichen von „Erfahrung“ in meinen Handlungen.
Und nachdem ich erfahren habe, wie sehr bei dieser Sendung offfenbar getrickst worden war, bin ich vor lauter Stolz nun überhaupt nicht mehr aufzuhalten. 2013, geh besser in Deckung!
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Bûche de noël, sehr frei nach Cyril Lignac
(Mengenangaben für eine Kastenform von ca. 22×11,5 Zentimeter, hat bei uns zweien 2,5 Tage gehalten)
Vanillecrème
90 g weiße Kuvertüre (oder einfach weiße Schokolade)
400 g Sahne
1,5 Vanilleschoten
1 g Vanilleextrakt
1,5 Blätter Gelatine
Gelatine in Wasser einweichen.
Sahne mit dem ausgekratzten Vanillemark und der Vanilleschote aufkochen und eingeweichte, ausgedrückte Gelatine darin auflösen. Schote entfernen.
Das Ganze über die in Stücke gebrochene weiße Schokolade gießen und rühren, bis sie geschmolzen ist.
Vanilleextrakt unterrühren.
Auskühlen und 12 Stunden im Kühlschrank ruhen lassen. (Bei mir wurden es letztlich 16 Stunden, sicher ist sicher.)
Bröselschicht (sehr optional, ohne Gewähr)
46 g Mandel-Nuss-Praliné (gibt es hier im Supermarkt zu kaufen, sind in Wirklichkeit karamellisierte, klein gehackte Mandeln und Haselnüsse, aber wer das nicht findet, soll’s einfach weglassen und mehr Spekulatiusse nehmen; spielentscheidend waren sie eher nicht)
70 g zerbröselte Spekulatiusse
40 g Butter (im Original Kakaobutter, aber da war mir die Sucherei zu blöd)
Butter schmelzen, gesammelte Brösel darin verrühren, fertig.
Karamellkern
100 g Zucker
31 g Wasser
16 g Glukosesirup
36 g Sahne
2,5 Eigelb (ca. 50 g)
163 g Sahne
0,5 Vanilleschote
1,25 Blätter Gelatine
Gelatine in Wasser einweichen.
Vanillemark und -schote in 36 g Sahne ziehen lassen. (Ich habe die Sahne dafür leicht erhitzt. Im Rezept steht das nicht, dafür aber, dass man sie „drei Minuten lang“ ziehen lassen soll. Enthalte mich hier eines Kommentars …)
Zucker, Wasser und Glukosesirup zu einem Karamell kochen. (Genauer steht’s im Rezept auch nicht. Ich warte immer, bis das Karamell ein dunkles Bernstein erreicht hat; nachdem man zum ersten Mal das Gefühl hat, er riecht angebrannt, schnell vom Feuer runter.)
Mit der Vanillesahne „ablöschen“, zurück auf die kleine Flamme stellen, dabei schön rühren, dann wird’s auch gleich wieder flüssig/cremig.
Den Rest der Sahne unterrühren.
Die Eigelb hinzufügen und bis 85 Grad kochen. (Ich rühre aus Angst vor Klümpchen da immer sicherheitshalber wie eine Weltmeisterin.)
Vom Herd nehmen, auf 70 Grad abkühlen lassen und dann die Gelatine unterrühren.
Abkühlen lassen und im Kühlschrank fertig runterkühlen.
Zusammenbau
Ev. die Kastenform mit Klarsichtfolie auskleiden. Gibt zwar möglicherweise Fältchen, aber so müsste sich die bûche um einiges leichter aus der Form lösen lassen, als bei meinen verzweifelten Versuchen mit heißem Wasser und vielen ruckartigen Bewegungen.
Die Vanillecrème steif bzw. so ähnlich aufschlagen.
In die Kastenform bis ca. auf mittlere Höhe füllen, dabei an den Seiten hochziehen. In der Mitte eine ca. halbrunde Schneise graben.
Die Karamellsahne mit einem Spritzbeutel in die Schneise dressieren (so wird sie wieder cremig), glattstreichen, damit’s nicht so schludrig aussieht wie bei mir.
Mit der übrigen Vanillecrème abschließen, aber noch Platz für die Bröselmasse lassen (oder die, wie erwähnt, einfach als erste in die Kastenform geben).
Im Rezept soll man das alles jetzt, noch Prä-Brösel, in den Tiefkühler stellen. Ich habe das nicht gemacht.
Die Bröselmasse so auftragen, dass sie nicht bis an den Rand reicht, damit die bûche nach dem Stürzen rundum weiß erscheint. (So wie bei mir, hüstel.)
Jetzt sicherheitshalber ein paar Stunden in den Tiefkühler stellen, möglicherweise, weil sie sich dann leichter aus der Form lösen lässt?
Nicht mit grauer Lebensmittelfarbe besprühen.
Respekt, ich würde bei der Beschreibung erst gar nicht anfangen:-)
Ich bin beeindruckt, echt! Würd ich mir wahrscheinlich nicht antun. Von den Fotos gefällt mir das rechts oben im Sechserblock sehr gut – ich hätte beim ersten Hinschauen gar nicht auf Karamell getippt 😉 …
Ich gebe zu, auf den dritten Blick sieht das jetzt nicht so super gustiös aus. Ich muss eindeutig noch am Foodstyling arbeiten.
Kompliment! Was für ein Werk!
Cyril Lignac…..ist das der mit den Rezeptheftchen an den Supermarktkassen?
Das ist der mit überall. Und einem so südfranzösischen Akzent, dass es sogar mir die Haare aufstellt. Aber Hauptsache, mich versteht hier keiner …
Das ist der mit überall. Und einem so südfranzösischen Akzent, dass es sogar mir die Haare aufstellt. Aber Hauptsache, mich versteht hier keiner …
Ich sag’s doch …
Aber ich sag jetzt lieber nix mehr, das wird mir sonst zu heiß.
Alle Achtung! Ich hätte schon beim Anblick der Zutatenliste aufgegeben! 😉