Das Glück gibt’s auf dem Markt

Was ich eigentlich sagen wollte, bevor meine Gedanken ein wenig abdrifteten: Selbstverständlich ist Paris eine wunderbare Stadt! (Wenn man von der Gepäckabwicklung am Flughafen Charles de Gaulle absieht, aber ich will nicht schon wieder anfangen.)
Das beginnt schon einmal bei der Frequenz, mit der hier die U-Bahnen verkehren. Fährt sie einem vor der Nase davon, kommt die nächste in maximal drei, vier Minuten, oft sogar nur in zwei, die sich wie eine Minute anfühlen. Sogar tagsüber, außerhalb der Stoßzeiten. Man hat also oft nicht einmal genug Zeit, sich auf dem Bahnsteig dort zu platzieren, wo der ideale Waggon stehenbleiben wird.
Der ideale Waggon – als kleiner Tipp für Paris-Touristen – spart manchmal wertvolle Umsteigeminuten und enervierendes Gerangel auf einem gesteckt vollen Bahnsteig, wo sich Aus- und Einsteigende vermischen, die alle zu unterschiedlichen Aus- und (U-Bahn-) Eingängen streben. Denn was beim Pariser Métrosystem wirklich Zeit kostet, ist das Umsteigen. Ich spreche jetzt nicht von Mega-Stationen wie Montparnasse-Bienvenüe, wo man mit ein bisschen Pech gern einmal zehn Minuten braucht, um von Métro A zu Métro B zu gelangen. Auch kleinere Stationen sind ein einziges Treppauf-Treppab, linksherum, rechtsherum, den linken Fußgängertunnel, nein!, doch den rechten!, puh, endlich da.
Dafür spart man sich das Fitnessstudio. Täglich Métrofahren ist besser als Bauch-Beine-Po. Das Krafttraining erledige ich in den Pariser Bussen, wo man sich besser mit allen verfügbaren Gliedmaßen festhält, wenn einem sein Leben lieb ist. Der Pariser Busfahrer wird von seinen Passagieren beim Einsteigen immer freundlich gegrüßt. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, a) die Türen zu schließen, sobald der letzte Zusteigende auch nur den zweiten Fuß vom Boden gehoben hat, b) loszufahren, sobald sich die Türen in Bewegung gesetzt haben, und c) seinen Fahrgästen ganz allgemein mit dem sportlichsten Fahrstil seit Le Mans nach dem Leben zu trachten.
Für Gleichgewichtsübungen bietet sich übrigens die Métrolinie 1 an. Wer es dort schafft, vor allem beim Bremsen in den Stationen ohne Festhalten stehen zu bleiben, ist für Höheres auserkoren. Aber machen Sie rasch, die Linie wird gerade auf automatischen, also führerlosen Betrieb umgestellt. Und der Computer bremst um einiges humaner.
Aber ich schweife schon wieder ab.
Sogar mir Hardcore-Realistin geht noch jedes Mal das Herz auf, wenn ich über den Pont Alexandre III gehe. Vielleicht auch, weil dort immerimmerimmer Brautpaare stehen, die sich diese wunderbare Brücke samt Eiffelturm im Hintergrund nicht als Fotolocation entgehen lassen wollen. (Und sagen Sie’s nicht weiter, aber seit ich den Gatten kenne, habe ich tatsächlich meine romantische Seite entdeckt.)
Auch der Eiffelturm selbst packt uns immer noch.
Glitzernd oder nicht. (Ich versuche, ein Video vom glitzernden Turm nachzuliefern.)
Okay, aber was ich eigentlich die ganze Zeit sagen will: die Märkte! Wir haben bislang noch jeden Paris-Besucher samstags auf unseren Lieblingsmarkt geschliffen, und das nicht nur, um eine Ausrede zu haben, „bitte ein Mal von allem!“ zu kaufen. Das tun wir auch ohne Besucher.
Auf den Märkten spiegelt sich die Liebe dieses Landes zu gutem Essen wider. Sag ich jetzt mal ganz kitschig. Und man bekommt dort auch ein Gefühl dafür, wie der Franzose mit seinen Lebensmitteln umgeht. Er sieht sie schon einmal nicht in abstrakter, das sensible Auge schonender Uniform (roter Quader: Rindfleisch, rosa Quader: Kalbfleisch), sondern wie Gott und die Evolution sie schufen. Eine Zunge in voller Länge (da wird einem klar, wie sich Kühe selber die Augen schlecken können), gern auch einmal Schafshirne, und in der Wildsaison hängen die Hasen herum. Ungerupft. Hühner prinzipiell mit den Köpfen dran, die Fische sowieso so, wie sie aus dem Wasser gezogen worden sind. Auch die Pulpos.
Samstags auf dem Markt käme man auch nie auf den Gedanken, dass Kochen nur Frauensache wäre. Die ausgiebigsten Fachsimpeleien habe ich hier ausschließlich zwischen Männern beobachtet (und damit meine ich ausnahmsweise nicht meinen eigenen). Der Schinkenweltmeister (siehe Bildergalerie) unterhält sich liebend gern mit seinen Kunden über die neuesten Erkenntnisse, wie man das Huhn, das er soeben ausgiebig und liebevoll zurechtgeschnitten und -geflämmt hat, am besten brät.
Und nicht, dass Sie glauben, die lange Warteschlange dahinter würde bei jedem neuen Kapitel seines Vortrags ungeduldiger werden – die beteiligt sich einfach an der Diskussion! Auf dem Markt kann man es schon allein wegen des Gedränges nicht eilig haben. Deshalb sieht man lieber den Fachleuten dabei zu, wie sie ihre Ware vorbereiten. Das ist bei den Metzgern natürlich am ergiebigsten.
Ich erinnere mich auch heute noch daran, wie wir zu Beginn unserer Paris-Zeit bei diesem Schlachter Zutaten für einen Kalbsfond gekauft haben. Wir nennen ihn seither nur noch den Dichter. Sehen Sie sich das Bild an, dann wissen Sie, warum. Der Dichter also holte aus dem Kühlraum unter anderem einen Knochen, der direkt aus einem Micky-Maus-Heft stammen hätte können. Pluto hätte den jedenfalls sofort im Garten vergraben.
Der Dichter blickte den Knochen erst liebevoll an, griff dann mit einer unglaublich eleganten Drehung der Hand nach seiner Säge, sägte ein Stück ab, hängte die Säge mit einer erneuten Handdrehung zurück, legte den Knochen neu zurecht, griff wieder nach der Säge und zerlegte Plutos Traum schlussendlich in handgerechte Stücke. Und das alles mit diesem unbeschreiblich sanften, romantischen Gesichtsausdruck. Es war reinstes Fleischer-Ballett. Ich schmachte jedes Mal, wenn ich daran zurückdenke.
Sehen Sie? Und deshalb muss ich in Paris endlich kochen lernen. Weil es ein Verbrechen wäre, hier zu leben und sich hauptsächlich von Tiefkühl-Picard zu ernähren. Das tun zwar immer mehr Franzosen, aber die haben ja auch ihr ganzes Leben Zeit, die wunderbaren Produkte ihrer Landwirtschaft zu genießen.
Verzeihung, dass die Galerie nicht so hübsch ist. Da will WordPress nicht richtig kooperieren. Am besten erst einmal alle Bildunterschriften lesen und dann die Slideshow anwerfen. Mahlzeit.
Da krieg ich gleich wieder Lust auf Frankreich! Ich war zwar letztens in Paris nicht auf dem Markt, habe aber ganz wunderbar gegessen. Als Touri muss man ja nicht selber kochen
haha, „der ideale Waggon“. unterschreib ich nach ein paar monaten paris sofort! 🙂