So genau scheißt ka Hendl

Sehen Sie, mit Rezepten und mir ist das so eine Sache. Wir sind nicht füreinander geschaffen. Andererseits sind, wie wir bereits erörtert haben, auch Improvisation und ich nicht füreinander geschaffen. Was das ganze Kochprojekt zugegebenermaßen ein wenig aussichtslos erscheinen lässt.
Früher, als es den Gatten noch nicht gab und ich mich selbst ernähren musste, hatte ich hin und wieder kurze Anfälle, während derer ich plötzlich beschloss: „So, heute kochst du einmal was Richtiges, was Aufwändiges, etwas aus diesem dicken Kochbuch.“ Dann schlug ich das dicke Kochbuch auf, blätterte es durch, blieb bei einem Bratenrezept hängen, zückte Stift und Einkaufszettel und begann zu notieren:
– Koriander? Wo bekommt man DAS denn? Na, kann man sicher weglassen.
– Sellerie. Mag ich nicht. Lass ich auch weg.
– Puh, vorher einen Fond zum Aufgießen machen? Ist mir zu mühsam.
– Bier muss da auch rein? Ich hasse Bier.
– Wacholderbeeren … Da muss ich jetzt extra Wacholderbeeren kaufen, die ich danach sicher nie wieder brauche? Dann schaut mein Vorratsschrank sicher bald aus wie der meiner Mutter, wo die Worcestersauce noch in Kurrent beschriftet ist.
Und so weiter und so fort. Bis schlussendlich „ein halbes Kilo Rindsschulter“ auf der Einkaufsliste stand. Und sonst nix.
Bei manchen Rezepten geht es mir auch heute noch so, vor allem bei Jamie Oliver, der Zutatenlisten schreibt, die länger sind als meine SMS-Rechnungen. Noch ein Löffelchen Fischsauce, noch ein Hauch Zitronenzeste, noch ein Löffelchen Sherryessig, noch drei Erdnüsse, noch drei Kilo Kräuter.
An dieser Stelle fällt mir dann immer der Spruch meiner Freundin Ulli ein, die vor vielen Jahren eine der ersten war, die versuchte, mir Kochen beizubringen. Ulli pflegte zu sagen: „So genau scheißt ka Hendl.“ Zugegeben, sie hat das vielmehr auf Mengen bezogen. Wenn im Rezept XL-Eier angegeben waren, sie jedoch nur M-Eier hatte, dann sagte sie „So genau scheißt ka Hendl“ und verwendete die M-Eier.
Ein kleines Detail, das an dieser Stelle vielleicht nicht unerwähnt bleiben soll: Ulli konnte hervorragend kochen.
Wenn ich heute das „So genau scheißt ka Hendl“-Mantra anwende, dann zielsicher an der falschen Stelle. Ein halbes Ei zu viel im Pastateig, das ich den restlichen Abend lang abbüßen darf, weil der Teig klebt wie Sau. Oder Ricotta statt Mozzarella, was dann doch konsistenzmäßig einen klitzekleinen Unterschied macht. Oder Backpulver statt Natron, was aus einem Zucchinimuffin im Handumdrehen eine Massenvernichtungswaffe macht. (Wir hatten sogar kurz überlegt, eines vom Balkon zu werfen und zu schauen, wie tief der Krater wird. Aber damals wohnten wir noch gegenüber vom französischen Innenministerium.)
Immerhin versuche ich mittlerweile, mich so genau wie möglich an Rezepte zu halten und alle Zutaten aufzutreiben. Vergangene Woche habe ich einen halben Tag im Internet recherchiert, um eine Quelle für Weinstein zu finden, das im Time Life-Kochbuch für Soufflés vorgeschrieben wird. (Ich habe es nicht gefunden, die Soufflés sind zusammengefallen, der Weinstein war schuld.) Ich bin vergeblich das ganze Arrondissement abmarschiert, um Pandanblätter für Frau Ziiis Hainan-Huhn zu finden. (Frau Ziii braucht übrigens dringend eine Suchfunktion auf ihrer Seite.) Ich war in jeder Epicerie und an jedem Marktstand, um Pimenton de la vera zu finden.
Als ich unlängst in einem unserer Hamburger Lieblingsrestaurants, dem Tschebull, zum ersten Mal mit der Existenz von Eiskraut konfrontiert wurde, habe ich erst gar nicht versucht, es hier zu finden, sondern es gleich selbst angebaut. Das Aufwändige war dann eher, die Samen zu finden.
Wobei … das Problem waren nicht so sehr die Samen wie vielmehr die Mindestbestellsumme, weshalb ich jetzt auch Orangenthymian, Salbei, Kerbel, Ruccola und Lobelien anbaue.
Wer jetzt völlig unreif über die Beschriftung des weißen Blumenkastens kichert: Eiskraut heißt auf Französisch „ficoide glaciale“. Und ja, ich kichere auch noch immer.
Man kann mir also nicht vorwerfen, veränderungsresistent zu sein. Ich finde, ich habe mein etwas extremes Verhalten als 25-Jährige wirklich schön kompensiert. Vielleicht gar … überkompensiert? Mittlerweile ist es nämlich so, dass ich bestimmte Zutaten schon anschaffe, wenn ich gerade einmal in einem Rezept davon gelesen habe.
Die Kondensmilch links habe ich vor Monaten* gekauft, weil ich irgendwann einmal David Lebovitz‘ Schokoladeneis machen wollte.
Machen will.
Machen werde.
Die Bonitoflocken, weil ich irgendwann einmal gelesen hatte, dass man daraus … dass man damit … ich glaube, es hatte was mit Suppe zu tun.
Und wer das jetzt für übertrieben hält, dem kann ich sagen: Nur deshalb habe ich keine Probleme mit dem Nachtschlaf! Weil ich nämlich weiß, dass ich jederzeit Schokoladeneis machen könnte, wenn ich wollte. Oder Bonitosuppe.
Ich hatte auch, als Conni und Matthias vor einiger Zeit einen Kaiserschmarrn einforderten, bei nächstbester Gelegenheit Zwetschkenröster aus Wien importiert. Der steht immer noch hier und wartet auf den Kaiserschmarrn. (Wie C. und M. allerdings auf die Idee kommen, ich könnte den, ist eine andere Frage.)
Und wie schön, dass ich damit auch die mütterliche Tradition fortführen kann!
Es stimmt schon. Früher hatte ich nie das Problem, die ganzen Zutaten unterbringen zu müssen. Aber eines Tages werde ich so gut kochen können, dass ich aus all dem, was dann doch irgendwann wieder weg muss, etwas zaubern kann. Zwetschkenröster mit bonito-aromatisierter Kondensmilch. Glauben Sie mir, Ferran Adrià wollte sicher auch erst einmal nur den Vorratsschrank ausmisten.
Heute Abend kocht sicherheitshalber wieder einmal der Gatte. Eigenartigerweise kommt der immer mit den simpelsten Grundnahrungsmitteln aus …
* September 2011, *räusper*.
Oh, das kenne ich. Geht mir IMMER, aber wirklich IMMER mit diesem Italienischen Zeugs so, äh, Polenta. Kaufe ich immer wieder, will ich immer wieder zubereiten, schmeiße ich immer wieder weg kurz bevor die kleinen Tierchen drin sind (machmal auch erst später)
Polenta ist aber super! Schnell gemacht und dann wirklich vielseitig verwendbar! Die gibts hier regelmäßig. Nur Mut!
Wobei doch so´n halbes Kilo Rinderschulter auf dem Zettel gar nicht schlecht ist, ne Flasche Rotwein zum Draufgießen wird sich sicher finden im Neudeckerschen Haushalt und dann geht die Schulter halt in große Stücke geschnitten einfach in den Ofen. Vielleicht noch als Gipfel der Dekadenz mit einem Lorbeerblatt bewaffet, die kann man super auf Vorrat kaufen (werden irgendwie immer alle, vor schlecht) und anbauen kann man ihn natürlich auch!
Und nach 12 Stunden und 100° C hat man gekocht, echt! 🙂
(Ich bin seeeehr für´s Einfache! 🙂 )
Ich würde mit der Kondensmilch ja mal die Dulce de Leche Brownies von David Lebovitz. Die sind garantiert idio…äh Frau-Neudecker-sicher. 😉
Chére Madame Neuf-Couvreuse*,
ich bin über die wunderbare Seite der Frau Ziii zufällig auch auf Ihrer nicht minder wunderbaren Homepage gelandet und muss sagen: Ich zerbrösel mich.
Ihr genialer Wortwitz und die wunderbare Art ihre Koch-Desaster- und Triumphe in Worte zu fassen hat mich königlich amüsiert – Lachtränen inklusive! Bitte kochen Sie weiter, und erzählen Sie davon! Den dazu nötigen „Spirit“ haben Sie mit Sicherheit.
GaliGrü aus Ihrer ganz alten Heimatstadt,
O.G.
* „Neuf-Dix-Grammes“ würde auch gehen, ist dann aber schon sehr weit hergeholt 😉
Sie sehen mich erröten – herzlichen Dank und Grüß zurück in die Heimat!