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Der Gatte und der Pizzadienst

29. November 2011
 

Wenn man 40 Jahre lang überlebt hat, ohne kochen zu können, wozu dann jetzt noch? Gute Frage. Ich glaube, der Gatte ist schuld. (Was er ja ohnehin immer und ständig ist – klare Aufgabenverteilung ist das Geheimnis einer glücklichen Ehe.)

Vor ihm war mein Leben von den Segnungen der Tiefkühlindustrie geprägt. Um mich nicht zu einseitig zu ernähren, bestellte ich hin und wieder auch Pizza. Und fallweise – man soll ja auch was Frisches essen – kochte, pardon, „kochte“ ich selbst. Meistens war das zu Tode gedünstetes Gemüse sowie Huhn, das zur Sicherheit (Salmonellen!) noch mit dem bereits matschigen Gemüse noch ein paar Runden drehen durfte, bis es wirklich durch und durch durch war.

Wenn ich Besuch hatte, gab es Wurst und Käse aus der Feinkostabteilung. Aber meistens gingen wir ohnehin ins Restaurant. Sicherheitshalber.

Das einzige, das ich – bis heute – immer und überall erfolgreich zustande gebracht habe, war eine leicht abgerüstete Version einer

Wiener Sachertorte.

170 g Butter mit einem Großteil von

170 g Zucker sowie

150 g aufgeweichter Koch- bzw. dunkler Schokolade schaumig schlagen und dabei nach und nach

6 Eigelb sowie

70 g Semmelbrösel hinzufügen.

6 Eiklar mit dem restlichen Zucker steif schlagen und unter die Schokomasse heben.
Das Ganze in eine gebutterte oder einfach mit Backpapier ausgelegte Springform füllen und ca. 1 Stunde bei „mäßiger Hitze“ (ich nehme wohl immer ca. 150° C) backen, bis die Torte den Stäbchentest besteht.

Laut dem ungeschriebenen Sachertorten-Rezept müsste die Torte nach dem Auskühlen noch dünn mit Marillenmarmelade bestrichen und dann mit einer Schokokuvertüre überzogen werden. Aber die „Patzerei“ (© Mutter Neudecker) tue ich mir schon seit Jahrzehnten nicht mehr an. Ganz abgesehen davon, dass in meinem ganzen Leben noch kein Kuchen mit einer glasurfähig glatten Oberfläche aus dem Ofen gekommen ist.

Das Geheimnis an diesem Rezept ist, dass die Torte immer saftig wird. Kleingeister würden es „sitzengeblieben“ nennen, aber die haben sie eindeutig noch nie gekostet.

Außerdem werden sitzengebliebene Kuchen ohnehin schwer unterbewertet. Eine mir nahe Verwandte wurde eines Tages dabei erwischt, wie sie den Kuchen, den wir Kinder immer zum Frühstück bekamen, während des Backens heimlich kurz aus dem Ofen holte und ihn ein paar Mal fest auf die Arbeitsfläche knallte.

Ich hätte nichts dagegen gehabt, mich auch mein restliches Leben lang von Pizza und Pseudo-Sachertorte zu ernähren. Doch dann kam der Mann. Sowie ein neuer Trend, der es schwer emanzipierten Frauen plötzlich erlaubte, in aller Öffentlichkeit übers Kochen zu sprechen und sogar vor Publikum Couscous-Rezepte auszutauschen. „Schicker kochen“, sozusagen.

Aber bleiben wir beim Mann. (Das tun wir ja sowieso.) Wie soll man seine Art zu kochen beschreiben? Er ist jemand, der aus drei Karotten und einem rostigen Nagel ein fünfgängiges Menü zaubern kann. Sein Rekord sind zwölf Beilagen für einen einzigen Gang. Früher, als ich noch viel weniger Ahnung vom Kochen hatte, allerdings mehr Zeit, um einkaufen zu gehen, schleppte ich einfach an, was mir im Supermarkt gefallen hatte. Das konnten dann eine Hühnerbrust, drei Stangen Lauch und ein Glas Nutella sein. Oder Kalbskotelettes, Aprikosen und rote Zwiebeln. Gern auch Grillwürstchen, Heidelbeerjoghurt und eine Tube Superkleber.

Wenn er nach Hause kam und ich ihm stolz meine Beute präsentierte, war da immer ein Moment, an dem ich Angst hatte, er könnte sagen: „Tut mir leid, Schatz. Aber das passt jetzt beim besten Willen nicht mehr zusammen.“ Jedenfalls machte er oft ein entsprechendes Gesicht. Doch dann konnte ich jedes Mal beobachten, wie er begann, verschiedene Kombinationen gedanklich hin und her zu schieben, aneinanderzuhalten, wieder zu verwerfen. Sobald es in seinem Kopf zu rattern aufgehört hatte, sagte er meistens: „Ich glaube, ich weiß schon, was ich machen werde …!“ Und eine Stunde später servierte er mir regelmäßig ein wunderbares Abendessen.

Er schneidet dünne Fisolen (auf deutsch: grüne Bohnen) der Länge nach, bereitet den Mangold nach Farben getrennt zu, blanchiert und schreckt in Eiswasser ab, wo ich einfach Gemüse in kochendes Wasser werfe, bis es sein letztes Vitaminchen ausgehaucht hat.

Meistens sind bei ihm alle vier Kochstellen in Betrieb, teilweise doppelt besetzt, sowie zwei Öfen. Ist am Schluss ein Topf sauber geblieben, hat er sich eindeutig nur ein Butterbrot geschmiert.

Meistens könnten wir, nachdem er gekocht hat, eine neue Küche gebrauchen. Sollten wir jemals ein Haus bauen, wird sie jedenfalls einen Abfluss im Boden haben, damit man sie nach dem Kochen einfach nur abkärchern muss. Aber der Aufwand heiligt das Ergebnis bei weitem!

Seit ich seinen Kochorgien beiwohnen darf, versuche ich mich nützlich zu machen. Nachdem er einfach nie genug Arbeitsfläche hat und haben wird, sehe ich es als meine Aufgabe, ihm den Weg freizuräumen. Ich ziehe ihm schmutzige Töpfe unter den Händen weg, sammle benutzte Utensilien ein und wische, wenn er nicht hinschaut, kurz den Arbeitstisch. Es sind die einzigen Momente, in denen wir beinahe an den Rand eines Streits geraten. ER findet nämlich, dass ich ihm immer im Weg stehe. Und dass ich ihm andauernd Sachen wegnehme, die er noch verwenden wollte.

Wobei … seit ich einmal Salatblätter in den Mist geworfen habe, die er kurz zuvor extra sorgfältig blanchiert hatte, versuche ich mich ein wenig zurückzuhalten. Das Problem ist nur: Ich halte Zurückhaltung nicht aus. Ich gehöre zu den „Clean as you go“-Menschen. Bevor ich einen benutzten Topf einfach zur Seite stelle, kann ich ihn gleich in den Geschirrspüler räumen. Ich kriege die Krätze, wenn ich einen Teller auf einen schmutzigen Arbeitstisch stellen muss. Ich empfinde tiefe Befriedigung, wenn die Hintergrundmusik während des Kochens vom Geschirrspüler kommt. Vielleicht ist das auch ein Grund, wieso es bei mir bislang nicht so richtig geklappt hat: Für mich ist ein Essen dann gelungen, wenn beim Servieren die Küche bereits wieder tipptopp aussieht. Ich schätze, ich sollte meine Prioritäten neu überdenken.

Der Entschluss, endlich selbst kochen zu lernen, kam mit unserem Umzug nach Paris. Ich bin hier Heimarbeiterin mit freier Zeiteinteilung, das heißt, ich kann jederzeit etwaige Töpfe oder Pfannen kontrollieren. Oder mir einen Nachmittag frei nehmen, um ein Salatdressing hinzukriegen, das einem nicht den Zahnschmelz wegätzt. Und ich kann hier einen Kochkurs besuchen. Davon gibt es in Paris pro Tag mehr als freie Taxis. Man kann mittags innerhalb einer Stunde unter Profiaufsicht sein Déjeuner zubereiten oder sich einen Nachmittag lang in die Geheimnisse der französischen Landküche einführen lassen. Man kann einen halben Tag damit verbringen, ein dreigängiges Menü zu kochen oder ausschließlich die Zubereitung von Saucen erlernen, von Macarons oder von Soufflés.

Ich kenne Männer, die einfach anhand von Jamie-Oliver-Büchern kochen gelernt haben. Dann kann das ja nicht so schwer sein.

6 Kommentare leave one →
  1. Daniel permalink
    20. April 2012 12:41

    Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr. So genial geschriebene Texte habe ich schon ewig nicht mehr gelesen. Weiter so!!!

  2. 12. April 2013 08:06

    Vielen Dank! Nun weiß ich, ich bin nicht alleine mit meinem Während-des-Kochens-Putzzwang! 😉

  3. mob permalink
    13. April 2013 11:25

    Texte très amusant même si ma connaissance très limitée de l’allemand m’empêche, j’imagine, d’en percevoir toute la saveur.

  4. 28. November 2013 00:53

    So was von stark! Muss ich doch gleich noch mehr lesen in diesem Blog! GLG

  5. 14. April 2015 23:06

    Topf, Tasse, Teesieb wegräumen, in die Spüle stecken und von Mann Anschiss kassieren, kenne ich auch zu Genüge. Daher habe ich mir angewöhnt, nur mit abgedunkelter Sonnenbrille die Küche zu betreten und es mir schmecken zu lassen, wenn Männe kocht. Hauptsache ich muss nicht selbst kochen, dann räum ich nachher auch schön auf!

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