Re-Installation

„Installez-vous!“
Das ist einer der Sätze, die man in Frankreich am häufigsten zu hören bekommt. Egal, ob man bei Freunden eingeladen ist oder ins Restaurant geht: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man gleich zu Beginn aufgefordert wird, sich „zu installieren“. Bei uns würde man sagen: „Macht’s euch gemütlich.“ Okay, vielleicht nicht im Restaurant.
Derzeit werden der Gatte und ich vor allem von unseren französischen Freunden oft gefragt, ob wir uns wieder gut in Hamburg installiert haben. Doch, haben wir. Die Stadt ist ja ungefähr noch genau so aufgebaut wie vor unserer Abreise, Alster und Elbe sind noch dort, wo wir sie zurück gelassen haben. Auch an unsere alte Wohnung gewöhne ich mich immer besser, obwohl die Türstöcke und all jene Kanten, an denen man sich die Knöchel ganz besonders formidabel anhauen kann, früher definitiv noch nicht da waren. Vor allem die Tür vom Geschirrspüler war vor unserem Auszug kleiner und weniger im Weg. Ich rieche hier ein eindeutiges Komplott gegen meine Schienbeine.
Dafür setzt jetzt langsam die Paris-Melancholie ein. Ich war ja nicht ganz unglücklich, nach den Jahren in der lauten, hektischen, anstrengenden Seine-Stadt zurück in den gemütlichen, ruhigen Luftkurort Hamburg zu kommen. In die Stadt, in der man mit dem Rad unterwegs sein kann, ohne jedes Mal um sein Leben bangen zu müssen. In der man sogar noch zur Rushhour einen Sitzplatz in der Métro U-Bahn bekommt.
Obwohl Paris es mir an unserem letzten Abend noch einmal besonders schwer gemacht hat. Es begann damit, dass die deutsche Botschafterin dem Gatten und mir zuliebe extra noch schnell eine Diskussionsveranstaltung mit Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing organisiert hat.*)
Hier ist Helmut Schmidt in Minute 1 der Diskussion zu sehen:
Und hier in Minute 3:
Und am meisten gerührt hat mich dieses kleine Detail:

Es geht um seine rechte Hand. (Neben ihm im Bild ist seine Dolmetscherin zu sehen)
Und hin und wieder blitzte auch der alte Helmut Schmidt auf, besonders, als er eine Frage von Alfred Grosser relativ – wie wollen wir’s nennen – schroff abbügelte. Ich meine, Alfred Grosser!
Nachdem der Gatte, wie es bei seinem Job so üblich ist, noch gut zwei Stunden mit Helmut und Valéry im Separée abgehangen hatte, wollten wir noch in jenes Bistro, in das es uns jedes Mal zieht zog, wenn wir nach dem Kino, nach einem Konzert oder nach einer Schmidt-Giscard-Diskussion noch Lust auf ein tartare de bœuf hatten, in die Rotonde.
Ich überspringe jetzt den Teil mit der halbstündigen Suche nach einem Taxi und dem Regen und den finalen Paris-Flüchen – wir sind ja gerade in einer melancholischen Phase. Auf jeden Fall hielt die Wiedergutmachung in Form eines etwas klapprigen Taxis vor uns, mit einem afrikanisch-stämmiger Franzosen am Steuer.
Aus seinem Autoradio kam Giant Steps von John Coltrane und auf seinem Armaturenbrett klebte ein selbstgedrucktes Transparent mit den Worten „God bless you“. Er war ein wunderbarer, hoffnungsloser Optimist, der sogar dem Regen romantische Seiten abgewinnen konnte. „Seien Sie doch froh!“, sagte er zum Gatten, der als gebürtiger Hamburger nicht an Regenschirme glaubt. „So können Sie Ihrer Frau immer ganz galant den Schirm halten.“ Der Gatte war überzeugt, aber vor allem wegen John Coltrane.
Es war eine dieser besonderen Begegnungen, die einem noch Stunden danach ein seliges Lächeln auf die Lippen zaubert. Wo habe ich gerade wieder gelesen, dass die Pariser Taxifahrer die unfreundlichsten der Welt seien?
Als wir gegen 23 Uhr vor der rotbeleuchteten Rotonde aus dem Taxi auf das nassglänzende Trottoir stiegen, kam ich mir vor wie in Woody Allens Midnight in Paris. Was möglicherweise auch damit zu tun haben mag, dass ich in den zwei Stunden, während derer der Gatte mit Schmidt und Giscard im Separée scherzte, nicht viel anderes zu tun gehabt hatte, als den nachschenkenden Kellnern mein leeres Champagnerglas nicht schnell genug wegzuziehen. (Dieser Schwips wurde Ihnen gewidmet vom deutschen Steuerzahler.)
Um diese Uhrzeit wird in der Rotonde Jazz gespielt, leider nur vom Radio, aber er passt trotzdem perfekt zum Mobiliar. Alles wirkt plötzlich ein bisschen röter (meine Augen), plüschiger (sein Blick). Es ist nicht mehr knallvoll, dafür erscheinen die wenigen anderen Gäste umso interessanter. Oder was einem leicht betüdelt eben interessant vorkommt. Wäre unser Flieger am nächsten Tag nicht reichlich früh gegangen, wären wir dort sitzen geblieben, bis sie uns rausgekehrt hätten.
Jetzt, nach einem Monat in der alten Heimat, werde ich jedes Mal ein bisschen wehmütig, wenn ich über Relikte aus der Pariser Zeit stolpere. (Über die Waschmaschine, zum Beispiel.) Man versucht zwar, vor jedem Umzug Ballast abzuwerfen, andererseits gibt es keinen Grund, einwandfreie Küchenmaterialen einfach wegzuwerfen. Immerhin konnten wir die Sojasauce und die letzten drei Zitronen verschenken.
Und so stehen hier eben hin und wieder auch noch Produkte aus dem Pariser Supermarkt des Vertrauens herum. Der hat nämlich vor einiger Zeit eine ganz entzückende Kampagne für seine Eigenprodukte gestartet, wo ich nicht einmal in Ansätzen wissen möchte, mit welchem weißen Puder die Texter bezahlt wurden.
Auf diesem WC-Reiniger steht beispielsweise: „Für die Reinigung des Throns ist er der König!“
Und auf der Variante „Meeresfrische“ (sinngemäß): „Unter der Kloschüssel, da liegt der Strand“
Der in Italien hergestellte Ricotta wird mit den Worten beworben: „Empfohlen von Ihrem Paten“
Und auf dem Backpapier: „Es hatte mal was mit einer Tarte. Aber das hat nicht gehalten.“
Hierzulande bin ich im Supermarkt immer recht schnell durch. Es gibt so wenig zu lesen.
Wen ich derzeit am meisten vermisse, ist der Tomatenmann. Den konnte ich Ihnen noch nicht vorstellen, weil er nur im Sommer auf dem Markt ist, und zwar erst dann, wenn seine Tomaten reif sind. Aber stellen Sie sich einfach einen Stand vor, an dem es nur Tomaten gibt. Ausschließlich Tomaten. Und nichts als Tomaten. Die allerdings in ungefähr zehn Sorten, und eine besser als die andere. Beim Tomatenmann kauften wir jeden Samstag ungefähr vier Kilo. Bis Mittwoch war davon nichts mehr übrig.
In diesem Jahr haben wir den Tomatenmann komplett verpasst. Das Wetter war so mies, dass er Ende Mai noch immer nicht auf dem Markt aufgetaucht war. Und vielleicht war’s den hiesigen Tomaten ja bislang auch noch zu frisch, aber Hamburg? An der Tomatenfront muss dringend noch was getan werden! Dann würde ich mich auch für fertig installiert erklären.
*) Ja, das war ein Scherz.
Ich glaube, wenn man genug Eau de Javel einatmet, dann kommen diese Texte von ganz allein.
Geniale Kampagne, ich liebe es auch, alle Aufdrucke zu lesen und mich darüber zu amüsieren, aber es stimmt, viel gibt es hier nicht.
Als Luftkurort empfinde ich „die schönste Stadt der Welt“ nicht gerade, aber ich war auch lange nicht mehr in Paris…
Ich LIEBE französische Supermärkte, da könnte ich Stunden wenn nicht gar Tage verbringen, schon allein vor dem Joghurtregal mit der Auswahl *träum*. Kann verstehen, dass Du in nem dt. Supermarkt schnell wieder raus bist, ich renne da auch immer in Windeseile durch, den Einkaufszettel akribisch abarbeitend *lach* Die Sprüche auf den Packungen sind genial, die dt. Werbung ist ja eher ein Greul, ich sach nur „die German Kleinigkeiten“…… Herzlichst Nadja
ich hab eine Tomatenfrau, die im August auch ausschließlich Tomaten (vielleicht noch ein paar Erdäpfel und Melanzani) verkauft und ich schwelge in Namen wie russische Reisetomate, Quedlinburger frühe Liebe und Fuzziwuzzi 🙂
Immerhin verstehe ich die Monoprix-Witze besser als die Carambar-Witze. Besonders gelungen fand ich den Spruch auf dem Erdbeerjoghurt “La vache et la fraise se sont pacsées”, also Kuh und Erdbeere haben sich verpartnert ;o)
Da freu ich mich doch wieder auf die Bretagne. In Frankreich gehören für mich die Supermarktbesuche zum klassischen Urlaubsvergnügen. Mein Favorit ist Super- U.Monoprix habe ich noch gar nicht so wahrgenommen, ich glaube, die gibt es eher in den Städten und nicht so auf dem Lande. Trotzdem, Reinigungsmittel mit kessen Sprüchen, das ist mal eine tolle Marketing-Idee.
Super-U und die anderen „grandes surfaces“ dürfen nicht innerhalb von Städten (wenn David Lebovitz recht hat). Aber Monoprix kommt dem schon sehr nahe. Die haben auch alles von der Textilabteilung bis zum Druckertoner und – haha! – Küchenausstattung. Hier muss ich dafür immer erst zu Karstadt …
Bei uns ist dafür die Werbung am Ende der Nahrungskette witzig. Die Berliner Stadtreinigung bewirbt die öffentlichen Müllbehälter zur Entsorgung der Exkremente von Lumpi oder Fiffi mit „Würstchenbude“. 🙂
Sigrid, tu dois créer une entreprise d’import des produits monoprixà Hambourg avec les mottos en allemand ! bzzz