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Brei ist mein Gemüse

14. Mai 2012
Das mag, nach allem, was ich bislang so erzählt habe, ein bisschen überraschend kommen, aber ich habe gestern erfahren, dass ich bereits gut genug für eine Erwähnung im Michelin kochen würde – hätte ich denn ein Restaurant. Dabei war ich mir bis dahin eigentlich noch ziemlich sicher, dass auf der Liste der für mich geeigneten Berufe Profiköchin abgeschlagen an letzter Stelle liegt, sogar noch hinter Astronautin und Callboy.Doch wir waren gestern in einem Restaurant, in dem ich mich sehr heimisch gefühlt habe: das Fleisch war zäh und das Gemüse konnte man mit der Zunge zerdrücken. Und der Gatte hatte es im Michelin gefunden! (Zu Michelins Verteidigung: Es war die Ausgabe von 2009.)Wir waren, so viel sei verraten, in Orléans. Dort wurde der 600. Geburtstag der gleichnamigen Jungfrau gefeiert, was immer ein Riesen-Tam-Tam gibt mit FaschingsKostümumzügen und Blaskapellen und Stelzengängern. Und nachdem wir hier gerade das Projekt ausgerufen haben: „Lerne das Land kennen, in dem du seit vier Jahren lebst“, setzten wir uns in den Zug und machten einen Sonntagsausflug.Statt die Messe zu besuchen, mit der alles losgeht, sind wir gottlosen Menschen selbstverständlich essen gegangen. Ich sage das nicht oft, aber: Wir hätten in die  Kirche gehen sollen. Auch wenn die ihre Hostien für meinen Geschmack immer ein bisschen zu trocken backen.Die Entrées waren noch ok, aber die Entenbrust danach habe sogar ich schon besser hinbekommen. Kennen Sie das etwas peinliche Gefühl, wenn Sie so sehr an Ihrem Fleisch säbeln müssen, dass man noch am Nebentisch das Ritze-Ratze hört? Die Gemüsekügelchen (Zucchini, Karotten) hingegen waren so cremig, dass ich erst vermutete, es hätte irgendwas mit verkapselter Molekularküche zu tun. Nach einem Blick auf die übrige Klientel war unsere zweite Vermutung, dass der Restaurantbesitzer es irgendwann leid war, zum Dessert immer Kukident Haftcreme reichen zu müssen. Aber dagegen sprach ja wiederum die Entenbrust. Vehement. Offensichtlich konnten die es also einfach nicht besser.

Aber schlecht kochen kann ich selbst. Dazu muss ich mich nicht 90 Minuten in einen Zug und zwei Stunden in ein Restaurant setzen. Vor allem für zu weiches Gemüse bin ich unerreichte Meisterin aller Klassen. Früher pflegte ich Gemüse so lange zu kochen, bis es sich in seine kleinsten Bestandteile zerlegt hatte. Ich rede nicht gern darüber, aber die erste Kernspaltung im zivilen Bereich fand in meiner Küche statt.

Mittlerweile versuche ich immerhin, Gemüse so zuzubereiten, dass am Ende noch Spuren von Vitaminen vorhanden sind. Ich habe auch kein Problem mehr  zu erkennen, wann es perfekt gegart ist. Es ist genau der Zeitpunkt, wo ich beschließe, es einfach noch zehn Minuten länger zu kochen.

Zu den Gründen sind wir in der Therapie noch nicht vorgedrungen. Offensichtlich habe ich größere Angst, Gemüse zu kurz zu kochen, als, es zu Brei zu verarbeiten. Prägendes Erlebnis in der frühen Kindheit, vermutlich.

Auch als ich vor kurzem Jaden Hairs Korean Beef Rice Bowl (steht bereits auf der Deppensicher-Liste) nachgekocht habe, wollte ich ihren Angaben nicht so recht trauen und habe bei jedem Gemüse locker ein bis zwei Minuten draufgeschlagen. Nur, um nachher festzustellen, dass das Gemüse zu weich ist.

Ich habe mir jetzt auf den Rezeptausdruck groß „Glaub dieser Frau! Sie weiß, wovon sie spricht!“ geschrieben. Und weiß jetzt schon, dass ich mich auch beim nächsten Mal wieder nicht dran halten werde. (Es gibt doch so viele Phobien, ist darunter auch die „Gemüse könnte zu roh sein“-Phobie?)

Und doch gibt es ein Gericht, das für meine zwanghafte Art, alles zu Brei zu verarbeiten, ideal ist: Ratatouille, DAS französische Gemüsegericht schlechthin. Bevor Sie jetzt aufstöhnen: Dieses „Rezept“ habe ich bei niemand Geringerem als Gérard Depardieu gelernt! Und bevor Sie jetzt ätzen, dass der nicht so aussähe, als ob er gutes von schlechtem Essen unterscheiden könne, lesen Sie, was der Gatte so über ihn schreibt.

Für diesen Artikel waren wir zwei Tage bei Gérard* zu Besuch, worüber ich ohnehin noch einmal ausführlich erzählen muss. Tagsüber düste er mit dem Gatten und einem der nettesten Fotografen der Welt durch seine Weinberge, abends kochte er für uns. Ein anbetungswürdiges, in Butter gebratenes Rinderfilet, auf das vor dem Servieren jeweils noch ein Stückchen Butter kam. (Du beurre, du beurre, du beurre!) Aber auch ein Ratatouille, das nicht minder delikat war. Dafür ließ uns Gérard* Zucchini, Tomaten, Melanzani (Auberginen) und was er sonst bei unserem Beutezug im Dorf-Supermarkt in den Einkaufswagen geschaufelt hatte, klein schneiden, warf alles in einen riesigen Topf, legte den Deckel drauf und vergaß es eine Zeitlang, deren genaue Länge vermutlich keine große Bedeutung hat. „So vermischen sich alle Säfte“, erklärte er mir, die ich ihn mit großen Augen beobachtete.

Gérards* Ratatouille gewinnt keinen Schönheitspreis, aber da sind sich die beiden ja ähnlich. Ich weiß jetzt jedenfalls, wieso mir dieser Typ so wahnsinnig sympathisch ist.

Mittlerweile sind wir aber doch wieder dazu übergegangen, das Ratatouille etwas schonender zuzubereiten, vor allem im Rahmen unseres neuen Projekts „Wir leben ab sofort viel gesünder, jedenfalls, sobald das halbe Kilo Rillettes vom Wochenende weg ist“. Empfehlenswert, wenngleich aufwändig, ist Nigel Slaters Version, der jedes Gemüse einzeln anbrät, bevor er alles gemeinsam in den Ofen schiebt. (Wenn’s schnell gehen soll, kann man das mit dem Anbraten auch lassen, aber das haben Sie nicht von mir.)

Ach, und Orléans? Nja, war eh nett. Wir haben Jeanne d’Arc zu Pferde durch die Innenstadt reiten gesehen, was ich mir ja zuerst etwas nekrophil vorgestellt hatte, aber siehe da:

Außerdem mag ich, wie hier selbst Kleinstkinder bei historischen Umzügen einfach mitgeschliffen werden.

Er hätte noch so einen schönen, zu seinem Kostüm passenden Strohhut gehabt, aber er fand, er hätte kein Hutgesicht.

Orléans können wir jedenfalls von der To-do-Liste streichen. Und der Gatte hat auch versprochen, sich morgen einen aktuellen Michelin zu kaufen.

*Ich finde, wenn man von jemandem mehrfach geküsst wurde, darf man über ihn auch per „Gérard hat …“ erzählen.

One Comment leave one →
  1. Daniel permalink
    15. Mai 2012 11:27

    Ich warte auf jeden Fall gespannt auf den Bericht über Gerard Depardieu. Es hat gut angefangen hier.

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