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1. Schultag: in der Fisch-Klasse

12. Dezember 2011

Wenn man beschlossen hat kochen zu lernen, ist Paris so ziemlich die beste Stadt für dieses Vorhaben. Es gibt wahr lich massen haft Koch kurse in dieser Stadt. Und noch viele mehr.

Ich buchte also einen Kurs bei Lenôtre, die „Préparation et Cuisson des Poissons“ (Vorbereitung und Zubereitung von Fischen). Und ja, ich habe sicherheitshalber nachgeschaut, ob dafür irgendwelche Vorkenntnisse nötig wären. Am Vorabend lernte ich noch schnell alle Vokabel, die mir für diesen Kurs essenziell erschienen: schälen, Gräte, hacken, braten, Messer, bluten, Heftpflaster.

Am nächsten Morgen ist es soweit. Die anderen Kinder aus meiner Klasse und ich versammeln uns im Lenôtre-Pavillon auf den Champs Elysées. Praktischerweise sollen wir im kleinen Shop warten, der zwischen Restaurant und Lernküchen liegt, was eine ideale Umgebung ist für jemanden, dessen mentale Shoppingliste „Dinge, ohne die ich auf keinen Fall kochen lernen kann“* erst sieben Seiten umfasst.

Wir sind zu fünft, drei Damen, zwei Herren, von denen einer entweder bereits ein Profikoch ist – oder ein Klugscheißer vor dem Herrn. Ich fürchte, er ist ersteres. Die anderen wirken ebenfalls so, als ob sie durchaus schon einmal in einer Küche gestanden wären, und ich danke meiner Hellsicht, dass ich mir am Vorabend vom Gatten noch schnell zeigen habe lassen, wo bei einem Messer das Scharfe ist.

Die nächsten drei Stunden lang bereue ich zutiefst, jemals von Multitasking geschwärmt zu haben. Wir schälen und schneiden Gemüse für einen Fischfond, wir entgräten Fisch, wir enthäuten Lachs, wir öffnen Jakobsmuscheln und wiegen Gewürzmischungen ab. Wir löffeln Passionsfrüchte aus, mit denen der Tunfisch mariniert wird.

Monsieur le Kochlehrer bombardiert uns mit Fakten: 10 Gramm Gewürz pro Kilogramm Fisch, und zwar eine Mischung aus 100 Gramm Salz, 10 Gramm Pfeffer und 2 Gramm Cayennepfeffer. Krustentiere werden in Wasser mit 30 Gramm Salz pro Liter gekocht. Den Tunfisch haben wir übrigens in 10 Gramm Passionsfrucht pro Kilogramm mariniert. Ein Roux wird bei Lenôtre aus 100 Gramm Öl, 400 Gramm geklärter Butter und 600 Gramm Mehl bereitet.

Ich hoffe, man darf auch ein bisschen weniger verwenden, wenn man nur zu zweit ist.

Lachs und Forelle werden bis 50° C Kerntemperatur gegart, Tunfisch maximal bis 45° C. Vor dem Braten wird der Fisch trockengetupft, in den Dämpfer kommt er mit der Haut nach unten.

Meine Notizen degenerieren dank Stress und Sprache streckenweise zu verzweifeltem Lautschrift-Gekrakel. Was meinte er mit „matière rasse“?? [Matière grasse = Fett] Wer von uns wusste nicht, was Carvi (Kümmel) ist, sodass Monsieur le Chef ihn mit „der Cousin von Cumin“ erklären musste? [Im Zweifelsfall ich selbst.] Und zu wie vielen unterschiedlichen Schreibweisen von „Schalotten“ ist ein einzelner Mensch fähig? (Ich gestehe: Ich werde später sogar „Charlotten“ in meiner Mitschrift finden.)

Wenn ich gar nichts mehr verstehe, versuche ich abzuschreiben. Mit der Kamera. Von der Kollegin gegenüber. Also so:

Zuhause werde ich erkennen, dass ich ihre Schrift genauso wenig lesen kann wie meine eigene.

Aber siehe da, wir kriegen alles ohne größeres Blutvergießen hin:

Manierlich marinierter Tunfisch

Sich regelkonform verhaltendes Jakobsmuscheln

Vorschriftsmäßig gegarter Kabeljau

Und wenn jemand einen Fehler macht und beispielsweise den dunkelgrünen Teil vom Lauch mit zu den anderen Gemüsen in die Pfanne schmeißt, ist Herr Lehrer sofort zur Stelle, um ihn wieder herauszufischen. (Zu meiner Verteidigung: Hätte die dumme Kuh von gegenüber ihre Abfallschüssel woanders hingestellt, wäre es erst gar nicht soweit gekommen!)

Kurz nach Mittag und also nach dreieinhalb Stunden Stehen ohne Pause (und dafür verlangen die Geld) wissen wir, wie’s geht und bekommen deshalb eine Tüte mit rohem Fisch mit nach Hause. Die Selbstüberschätzung trägt sich von allein.

Sie hält bis abends an, als ich den Gatten mit den Worten erschüttere: „Du, Liebling, ich kann jetzt kochen!“

Ich stelle ein paar Pfannen auf den Herd, bereite einen Dämpfeinsatz vor und werfe den Ofen an. Alles gleichzeitig, weil: Hat in der Schule ja auch funktioniert.

Als erstes brennen die Jakobsmuscheln an. Ich hatte sie nicht trockengetupft. Weil das mit dem Trockentupfen hat Herr Lehrer ja schließlich beim Kabeljau gesagt. Woher soll ich wissen, dass das für alles andere genauso gilt?

Während ich sie fluchend vom Pfannenboden stemme, kocht die Dämpfflüssigkeit im Topf nebenan so hoch, dass der Lachs plötzlich wieder schwimmen kann. Ich ziehe ihn gerade vom Feuer, als der Tunfisch in der Pfanne zu rauchen beginnt.

Der Gatte eilt, angelockt durch lautes Fluchen und ein durchdringendes Piepsen, das sich als der Brandmelder herausstellt, zu Hilfe. Was er besser nicht getan hätte. „Wie bitte“, fauche ich ihn an, „soll man kochen können, wenn man nur zwei Hände hat?“

An diesem Abend wird chez nous zum Dîner serviert: zu Tode gekochter Lachs, angebrannte Jakobsmuscheln sowie Tunfisch an schwarzgebrannten Passionsfruchtkernen.

Der Gatte liest mir, wie all meine Wünsche, von den Augen ab, dieses Essen in seinem eigenen Interesse nicht einmal mit liebevoll-motivierenden Lügen zu kommentieren.

* Mehr dazu ein andermal.

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